Berührungspunkte in Zeiten von Corona

 

Gerade im ROMPC wissen wir, wie wichtig Nähe, Verbindung und Berührung für uns Menschen sind. Gute Beziehungsmomente aktivieren Oxytocin, was wir Menschen für unser Wohlbefinden, unsere Empathie, Solidarität und unsere Weiterentwicklung dringend benötigen. Wie soll unser Leben also mit sozialer Distanz funktionieren, die in den aktuellen Zeiten von uns gefordert wird?

 

Grundsätzlich sind wir Menschen Beziehungswesen oder Herdentiere. Das bedeutet, dass wir die Gemeinschaft brauchen, um zu überleben. Zu Beginn unseres Lebens sind wir abhängig davon, dass uns jemand füttert, versorgt und sich uns emotional und körperlich zuwendet. Beziehungen sichern also unser Überleben von Anfang an. Heute weiß man, dass auch schon Säuglinge viele Kompetenzen haben, mit denen sie die soziale Interaktion aktiv mitgestalten.

 

Wie wir diese Interaktionen in unseren ersten Lebensjahren erlebt haben, prägt auch später noch unseren Blick auf die Welt und auf uns selbst. Die Wissenschaft spricht hier von „Bindungsmustern“. Erlebbar wird das, wenn wir uns fragen: „Wie sicher fühle ich mich hier, und wie viel Vertrauen habe ich in mich selbst, in andere Menschen und in meine Umwelt?“

Und natürlich müssen wir uns ein Leben lang immer wieder vergewissern. So haben wir eine große Sehnsucht nach verlässlichen Beziehungen, in denen wir uns verstanden und geborgen fühlen. In Musik, Literatur und Kunst ist daher wohl die Liebe das häufigste Thema.

 

Im ROMPC sehen wir die „heilsame Beziehung“ als den wichtigsten Aspekt für erfolgreiche  Prozesse in Therapie, Beratung, Coaching, Supervision und Training.

Daher ist es uns ein großes Anliegen solche Beziehungsqualitäten immer wieder erlebbar zu machen.

Wichtige Instrumente dafür sind Strategien, mit denen wir lernen, uns selbst anzunehmen mit allem, was uns ausmacht und Modell für radikale Selbstakzeptanz zu sein. Es geht darum, uns selbst die Erlaubnis zu geben, so sein zu dürfen wie wir sind und gleichzeitig immer mehr die guten Gründe zu verstehen, aus denen heraus wir Eigenheiten entwickelt haben, die wir an uns selbst oft nicht mögen. Je mehr wir uns mit diesen Themen wohlwollend auseinander setzen, um so freundlicher wird der Blick auf uns selbst. Dann können wir uns entspannen und persönliche Entwicklung wird leichter.

 

In unseren Seminaren und Workshops möchten wir Räume schaffen, in denen Menschen sich gegenseitig wahrhaftig begegnen können. Eine wertvolle Übung dafür ist die „Dyaden Meditation“. Erfreulicherweise lässt sich diese Übung auch in online-Formaten umsetzen, indem sich zwei Personen in einen Breakout-room treffen. Sie ist also auch in Zeiten von Corona leicht umsetzbar.

Die Idee ist alt und wurde schon 1968 als „Entlightenment Intensive“ beschrieben. Das Ergebnis bewerten wir aber heute neu: Nach einem stark ritualisierten Ablauf stellt eine Person der anderen immer wieder die gleichen Fragen. Damit unterstützt sie die Person, den Fokus zu halten, zeigt ihr aber auch gleichzeitig Empathie und Anteilnahme, indem sie die Antworten hört und die Person durch das weitere Fragen aktiv begleitet. In diesem Moment entsteht Nähe und Vertrauen: Ein Beziehungsmoment, der den Oxytocinspiegel erhöht und damit Ressourcen aktiviert.

Nach dieser Übung kann man (auch in Online-Treffen) erleben, wie eine Gruppe zusammenwächst und sich ihre Mitglieder entspannen. Wir haben die Fragen der Übung an das Prinzip der Kettenfragen aus dem ROMPC angelehnt. Dadurch kann sich die gefragte Person ganz auf ihr Erleben konzentrieren und vielleicht sogar erstaunliche Erkenntnisse über sich selbst gewinnen, ohne die Erlebensebene zu verlassen.

Durch die Übung entsteht ein inniger Kontakt mit sich selbst und zu der anderen Person, da die grundlegenden Bedürfnisse nach Gesehen-werden und Bestätigung erfüllt werden. So entstehen „Berührungspunkte“ im Kontakt zwischen zwei Menschen.

 

In der aktuellen Zeit ist es wichtig, sich auch noch auf eine andere zutiefst menschliche Fähigkeit zu besinnen, nämlich sich bewusst zu erinnern und innere Bilder wahrzunehmen. Diese Fähigkeit zur Imagination können wir nutzen, in dem wir uns gute Beziehungsmomente vorstellen, an schöne Situationen mit den Menschen erinnern, die wir zur Zeit nicht so oft sehen, oder die Erfahrungen der vorangegangenen Übung wieder abrufen. Oder wir besinnen uns darauf, für welche Kontakte in der Vergangenheit wir auch jetzt noch Dankbarkeit empfinden.

Durch unsere innere Vorstellungskraft wird das emotionale Gedächtnis berührt, bestimmte Hirnareale aktiviert und Oxytocin ausgeschüttet. Das ist die Macht der inneren Bilder, die wir aktiv für unser Wohlbefinden nutzen können.

 

In einer zweiten Übung geht es darum, sich selbst körperlich zu berühren, durch ein Klopfritual mit Affirmationen das eigene Erleben zu erkunden und positiv zu beeinflussen. Dabei beziehen sich die Affirmationen auf die emotionalen Qualitäten der Meridianpunkte, die die Person gerade bei sich selbst berührt. Durch die Selbstbeobachtung wird dabei erlebt, ob die Affirmation beruhigt und das positive Erleben verstärkt, oder eine Irritation oder einen emotionalen Schmerz auslöst. Tritt dieser auf, wird er durch die Berührung gleichzeitig limbisch entkoppelt und beruhigt. Dieser Kontakt mit den eigenen "Berührungspunkten" vertieft die Verbindung zu sich selbst und stärkt damit das Vertrauen in die Welt.

 

Durch diese Übungen können wir unseren Oxytocinspiegel nicht nur in Zeiten von Corona immer wieder nachhaltig  anheben.

 

© Andrea Raith & Bärbel Klein

 

Literatur:

Thomas Weil und Martina Erfurt-Weil, Selbstwirksamkeit und Performance - ROMPC Kompendium, Kassel 2010

Gabriele Haug-Schnabel und Joachim Bensel, Grundlagen der Entwicklungspsychologie, Freiburg 2005
Simone Anliken, Dyaden Meditation, 2020

 Kerstin Uvnäs Moberg, Oxytocin, das Hormon der Nähe, Berlin Heidelberg 2016
Gerald Hüther, Die Macht der inneren Bilder, Göttingen 2010